Schadstoffspuren im Wasserkreislauf | Im Klartext 1 Im Klartext Schadstoffspuren im Wasserkreislauf www.dwa.de
2 Impressum Deutsche Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall e. V. (DWA) Theodor-Heuss-Allee 17 · 53773 Hennef Telefon: +49 2242 872-333 Fax: +49 2242 872-100 info@dwa.de · www.dwa.de Text: Sabine Thaler, Hennef Redaktion/Satz: Christiane Krieg, DWA Druck: Siebengebirgsdruck, Bad Honnef © DWA, 4. Auflage, Hennef 2020 Fotos: Titel, S. 4: FotografiaBasica, istockphoto.com S. 6, 3. v.l.: HughStonelan, istockphoto.com S. 6, 4. v.l.: hotboiled, istockphoto.com S. 6, 5. v.l.: Rainer Sturm, pixelio.com S. 7: Wasserverband, Eifel-Rur, Kläranlage Ratheim S. 9: audioundwerbung, istockphoto.com S. 11: ECT Ökotoxikologie GmbH, Flörsheim, Main S. 12: KIT, Institut für Grenzflächen, Abteilung Mikrobiologie Natürlicher u. Technischer Grenzflächen, Eppenstein-Leopoldshafen S. 15: BFG, Koblenz S. 16: Goethe-Universität Frankfurt, Abteilung Aquatische Ökotoxikologie, Frakfurt S. 17: Konrad-Zuse-Zentrum für Informationstechnik Berlin (ZIB) S. 19: Technische Universität Darmstadt (IWAR) weitere Fotos: DWA, Hennef
Schadstoffspuren im Wasserkreislauf | Im Klartext 3 Inhalt Den Schadstoffen auf der Spur.................................... 5 Toilette und Abfluss als Pforte zur Unterwelt und zum Gewässer....................................................... 6 Sauberes Trinkwasser ist nicht gleich rein................. 9 Von unsichtbaren Spurenstoffen zu Schadstoffen in Gewässern................................................................ 10 Wasserlebewesen werden von Medizin krank............. 11 Krankheitserreger leisten Widerstand........................ 12 Die Summe macht es................................................... 13 Ist weg wirklich weg?................................................... 15 Empfindliche Schnecken.............................................. 16 Per Computersimulation passende Schlösser für Schlüssel finden..................................................... 17 Qualität hat ihren Preis................................................ 18 Jede Menge Kohle........................................................ 18 Angriffslustiges Ozon................................................... 19 Membranen als Abwasserpolizei................................. 19 Was tut der Staat?........................................................ 19 Jeder kann etwas tun!.................................................. 20 Quellen......................................................................... 21 Danksagung.................................................................. 21
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Schadstoffspuren im Wasserkreislauf | Im Klartext 5 in Gewässern vor und können dennoch eine schädliche Wirkung entfalten. Hiervon sind besonders Wasserlebewesen betroffen. Man spricht deshalb von Mikroschadstoffen oder von anthropogenen – vom Menschen verursachten – Spurenstoffen. Sie entstehen zum Beispiel durch die Anwendung von Arzneimitteln, Süßstoffen, Kosmetika, Haushalts- und Industriechemikalien oder durch den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln und Biozid-Produkten. Auch in verschiedenen Gebrauchsgegenständen kommen sie vor, wie zum Beispiel als Bestandteil von Kunststoffverpackungen oder als Zusatz in Fassadenfarben und Textilien. Unzählige Chemikalien sind aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken. Täglich werden rund 10.000 neue Stoffe registriert und die jährliche Chemikalienproduktion erreicht weltweit 300 Millionen Tonnen (1). Beeindruckend hohe Zahlen! Indem wir alle diese Stoffe anwenden, zum Beispiel als Arzneimittel, Haushaltsreiniger oder Kosmetikartikel, hinterlassen wir Spuren in der Natur. Im Fokus stehen derzeit besonders diejenigen Substanzen, die in ganz minimalen Mengen in der Umwelt und in unseren Gewässern vorkommen. Erst die HightechEntwicklungen der modernen chemischen Analytik der letzten beiden Jahrzehnte ermöglichen den Nachweis winziger Stoffmengen im Wasser. Vergleichbar mit einem Stück Würfelzucker, das man in wassergefüllten 10-Liter-Haushaltseimern auflöst, die als Eimerkette zweimal um den Erdball reichen würden, kommen diese Stoffe nur in geringen Spuren Den Schadstoffen auf der Spur
6 Die Kläranlagen mit der derzeit genutzten Technik schaffen es nicht, die chemisch vollkommen unterschiedlichen Verbindungen vollständig aus dem Abwasser zu entfernen und leiten das gereinigte, aber noch spurenstoffhaltige Abwasser in die Flüsse. Darüber hinaus werden Pflanzenschutz-, Schädlingsbekämpfungs- und Tierarzneimittel von landwirtschaftlich genutzten Flächen durch Regen in die Gewässer abgeschwemmt oder sickern durch den Boden in geringen Mengen ins Grundwasser. Auch Biozide, die als Schutzanstriche für Boote oder in Wassernähe verbautem Holz Verwendung finden, gelangen in die Gewässer. Doch wie gelangen anthropogene Spurenstoffe in Flüsse, Seen und sogar in das Grundwasser? Medikamente werden zum Teil vom Körper wieder ausgeschieden und gemeinsam mit dem Abwasser durch das Kanalnetz zur Kläranlage transportiert. Auch medizinische Cremes und Körperpflegemittel, die beim Duschen wieder abgewaschen werden, verschwinden zu einem gewissen Anteil im Ausguss. Zudem entsorgen viele Patienten ungenutzte Arzneimittel unsachgemäß über die Toilette. Auch Reinigungs- und Desinfektionsmittel sowie Farbreste und die aus unserer Kleidung ausgewaschenen Zusatzstoffe finden ihren Weg ins Abwasser. Toilette und Abfluss als Pforte zur Unterwelt und zum Gewässer
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Schadstoffspuren im Wasserkreislauf | Im Klartext 9 Fluss- und Grundwasser dienen der Trinkwassergewinnung. Bislang findet man Spurenstoffe in völlig unkritischen Konzentrationen im Trinkwasser. Ein fiktives Beispiel soll dies verdeutlichen: Man müsste 20 Millionen 10 Liter-Wassereimer – also eine Eimerkette von 5.600 km – leertrinken, um über das Trinkwasser dieselbe Wirkstoffmenge aufzunehmen, wie sie zum Beispiel in einer 400 mg Ibuprofen-Tablette enthalten ist (2). Genau genommen ist Wasser nie wirklich rein – auch unser Trinkwasser nicht. Ohne eine Mindestkonzentration an gelösten Mineralstoffen wäre dieses sogar als Lebensmittel ungeeignet. Wenn wir von sauberem Wasser sprechen, meinen wir immer das Wasser plus enthaltene Mineralien wie Kalzium, Magnesium, Natrium, Hydrogencarbonat, Chlorid und Sulfat. Die Qualität des Wassers hängt von der Art und Menge seiner Inhaltsstoffe ab. Die Anforderungen an einwandfreies Trinkwasser sind in Deutschland in der TrinkwasserVerordnung geregelt. Moderne Analysetechniken erlauben es, auch winzige, unvorstellbar niedrige Stoffkonzentrationen im Wasser aufzufinden. Darum sind in Einzelfällen im Trinkwasser bis zu 15 verschiedene Arzneimittel nachweisbar (3). Das Trinkwasser vollkommen frei von minimalen Chemikalienrückständen zu halten, ist praktisch nicht realisierbar. Es ist die Folge unserer zivilisierten Welt und unseres hochentwickelten medizinischen Standards. Der Nutzen der Medikamente überwiegt die Auswirkungen auf das Trinkwasser bisher bei Weitem. Sauberes Trinkwasser ist nicht gleich rein
10 Unsere Gewässer enthalten Spuren von Medikamenten gegen nahezu jedes der häufigsten Krankheitsbilder. Darunter sind Antibiotika, Antivirenmittel, Schmerzmittel, Antirheumatika und Antiepileptika, um nur die wichtigsten zu nennen. Dazu kommen Hormone aus Empfängnisverhütungsmitteln und Menopausepräparaten. Auch in der Diagnostik kommen Pharmaka zum Einsatz. Hierzu zählen zum Beispiel Röntgenkontrastmittel. Nicht zuletzt ist ein Trend zu so genannten Lifestyle-Medikamenten zu beobachten. Damit sind Präparate gemeint, mit denen weder Krankheiten noch Schmerzen behandelt werden, sondern Probleme wie z.B. Haarausfall, Falten oder Übergewicht. Schon heute nimmt jeder Bürger in Deutschland durchschnittlich pro Tag 1g Arzneimittel zu sich – und darin sind freiverkäufliche sowie privat verschriebene Produkte nicht eingerechnet. Durch den demografischen Wandel ist eine Zunahme des Medikamentenkonsums von etwa 20% absehbar (3). Laborstudien lassen negative Auswirkungen auf Wasserlebewesen befürchten. Deshalb ist es nötig, sich mit dem Thema zu befassen. Von unsichtbaren Spurenstoffen zu Schadstoffen in Gewässern
Schadstoffspuren im Wasserkreislauf | Im Klartext 11 Wasserlebewesen werden von Medizin krank Wie wirken sich Spurenstoffe auf die in unseren Gewässern lebenden Fische, Muscheln, Krebse, Schnecken und anderen Organismen der ökologischen Lebensgemeinschaft aus? Einige Wasserlebewesen reagieren sehr empfindlich auf Gewässerbelastungen. Im Gewässer vorkommende hormonartig wirkende Substanzen können die Reproduktion von Fischen beeinträchtigten. Außerdem ist in Laborstudien eine Verschiebung des Geschlechterverhältnisses zu Gunsten der Weibchen nachweisbar, wie zum Beispiel bei Bachflohkrebsen. Solche Effekte können neben Empfängnisverhütungs-, und Wechseljahrpräparaten auch die Weichmacher in Plastikverpackungen auslösen, die über unsachgemäße Entsorgung in die Gewässer gelangen. Noch ist jedoch nicht ausreichend belegt, ob die im Gewässer vorkommenden Stoffkonzentrationen derartige Wirkungen verursachen können. Ebenfalls aus Laborstudien weiß man, dass Psychopharmakaspuren im Gewässer das Verhalten bestimmter Fische verändern und sie unvorsichtig werden lassen, wodurch sie schneller Fressfeinden zum Opfer fallen. Andere Stoffe können schädigend auf das Erbgut von Organismen – also auf die Gene – wirken. Dazu zählen zum Beispiel Medikamente, die zur Chemotherapie eingesetzt werden. Auch das Immunsystem, beispielsweise von Vögeln, wird von einigen Substanzen beeinträchtigt.
12 Krankheitserreger leisten Widerstand Eine besondere Bedeutung als Spurenstoff im Wasserkreislauf kommen Antibiotika zu, wie sie jeder sicher schon mehrfach in seinem Leben eingenommen hat. Doch in den letzten Jahren erleben Mediziner immer häufiger, dass gängige Antibiotika nicht mehr gegen Infektionskrankheiten wirken. Die infektionsauslösenden Keime erweisen sich als resistent gegenüber den Antibiotika. Das heißt, das Antibiotikum hat keine abtötende Wirkung mehr auf die Bakterien. Warum ist das so? Bakterien sind überaus anpassungsfähig. Geringe Mengen eines Antibiotikums töten sie nicht. Einzelne Bakterien gewöhnen sich daran, werden resistent und können sich dann trotz Antibiotikum weiter vermehren. Darum ist es wichtig, Antibiotika bei Infektionen ausreichend hoch dosiert und über eine vorgeschriebene Zeitdauer zu verabreichen. Im Abwasser liegen die Konzentrationen aber deutlich niedriger – ideale Bedingungen, um Resistenzen zu bilden. Dazu kommt die Fähigkeit von Bakterien, die Resistenzgene an andere Bakterienarten weiterzugeben, darunter auch pathogene Keime, die bei Kontakt Menschen krank machen können.
Schadstoffspuren im Wasserkreislauf | Im Klartext 13 Viele chemische Verbindungen werden hergestellt, um eine biologische Wirkung zu erzielen, ob als Medikament, Desinfektionsmittel, Pflanzenschutz- oder Antifoulingmittel. Nicht erwünscht sind jedoch Effekte in der aquatischen Umwelt. Oft sind die Substanzen sehr persistent, d. h. nur schwer abbaubar. Die Wirkungen der einzelnen in Gewässern vorkommenden Substanzen können sich summieren und gegenseitig verstärken. Außerdem spielen andere Faktoren, wie die UV-Strahlung, Temperatur, Parasiten und Krankheitserreger eine Rolle. Als zusätzliche Stressbelastung nehmen sie Einfluss auf die Empfindlichkeit von Wasserorganismen und können die Schadwirkung von anthropogenen Spurenstoffen sogar erhöhen. Die Summe macht es
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Schadstoffspuren im Wasserkreislauf | Im Klartext 15 produkt eine nachteilige Wirkung der Ausgangssubstanz auf eine Körper- oder Organfunktion verlieren und stattdessen eine bis dahin unbekannte Wirkung entwickeln. In der Summe kann sich der toxische Gesamteffekt auf Umweltorganismen sogar erhöhen. Im Extremfall bildet ein Wirkstoff bis zu 30 Folge- bzw. Transformationsprodukte. Niemand ist in der Lage für alle verdächtigen anthropogenen Spurenstoffe, jedes einzelne Umwandlungsprodukt chemisch nachzuweisen und seine Schadwirkung zu bestimmen. Außerdem weiß man nicht, welche Wechselwirkungen im Gesamtcocktail des Gewässersystems zwischen den unterschiedlichen anthropogenen Spurenstoffen und ihren Folgeprodukten eingegangen werden. Anthropogene Spurenstoffe kommen nicht nur in ihrer Ausgangsform im Abwasser und in Gewässern vor. Das lässt sich am Beispiel der Arzneimittel zeigen. Bereits im Körper wird ein Teil des eingenommenen Medikaments im Stoffwechsel um- oder abgebaut, d. h. der Wirkstoff wird beispielsweise in der Leber aufgespalten, wofür körpereigene Enzyme verantwortlich sind. Die Mikroorganismen in der Kläranlage sorgen für weitere Umsetzungsprozesse. Neben enzymatischen Reaktionen erfolgen chemische Umwandlungen durch Oxidation. So können aus einem Wirkstoff verschiedene Folgeprodukte entstehen. Wenn man nun im Kläranlagenablauf nach dem ursprünglichen Wirkstoff sucht, wird man ihn womöglich in deutlich geringerer Menge als im Zulauf finden. Aber ist dadurch das Problem gelöst? Nicht in jedem Fall. Oft sind die Umwandlungsprodukte besser wasserlöslich als die Ausgangsverbindung. Sie werden dadurch mobiler und gelangen leichter in die Gewässer. Die toxische Wirkung einer Substanz ist durch die Transformation, also die Umwandlung, nicht zwangsläufig abgeschwächt. Im Extremfall kann sie sich auch erhöhen oder es erfolgt eine Wirkungsverschiebung. So könnte ein neu gebildetes UmwandlungsIst weg wirklich weg?
16 Um Gefährdungen durch anthropogene Spurenstoffe und ihre Transformationsprodukte besser einschätzen zu können, kombinieren Wissenschaftler moderne chemische Analytik mit sogenannten biologischen Wirkungstests. Hierfür nutzt man lebende Organismen und Zellen als Testsysteme. Schnecken, Würmer, Wasserflöhe, Fischeier und Wasserlinsen werden eingesetzt, um die potentiell giftige oder hormonartige Wirkung von Spurenstoffen in Gewässerproben im Labor anzuzeigen. So reagieren die Apfel- und die Zwergdeckelschnecke z. B. besonders empfindlich auf hormonähnlich wirkende Substanzen. Auch im Labor kultivierte Krebs-, Hefezellen und Bakterien dienen als Testsysteme. Je nach Testsystem wird der Einfluss des in der Gewässerprobe enthaltenen Schadstoffcocktails auf die Sterblichkeit, Wachstumsrate, Fortpflanzung, Erbgutveränderung etc. untersucht. Mit Hilfe der Testsysteme kann man eine Aussage über die Art der toxischen Wirkung auf Wasserlebewesen treffen. Die chemische Analytik kann nur einzelne Substanzen nachweisen. In der Umwelt kommen jedoch komplexe Stoffgemische vor. Organismische Wirktests sind hingegen in der Lage, die Wirkung von Stoffgemischen zu erfassen. Im Zusammenspiel von chemischer Analytik und Biotests können bestimmten Chemikalien oder Chemikaliengruppen biologische Wirkungen zugeordnet werden. Empfindliche Schnecken
Schadstoffspuren im Wasserkreislauf | Im Klartext 17 Die Computersimulation hilft, unter den zahllosen Umwandlungsprodukten von anthropogenen Spurenstoffen diejenigen zu identifizieren, die in Lebewesen mit hoher Wahrscheinlichkeit toxisch wirken. Ausgehend von einer sorgfältig zusammengestellten Datenbank mit wahrscheinlichen Bindungsstellen im Organismus sowie der dreidimensionalen Gestalt eines potenziellen Schadstoffmoleküls versucht der Computer mögliche Angriffsstellen im biologischen System zu identifizieren, die wie Schlüssel und Schloss zusammenpassen. Aus den errechneten Wechselwirkungen können mögliche schädliche Wirkungen abgeschätzt werden. Per Computersimulation passende Schlösser für Schlüssel finden
18 Qualität hat ihren Preis Kläranlagen sind in der Regel nicht darauf ausgelegt, anthropogene Spurenstoffe zu entfernen. Sie müssten mit einer zusätzlichen Reinigungsstufe ausgebaut werden. Dabei stellt sich das Problem, dass bei der breiten Palette an unterschiedlichen Problemsubstanzen nur Verfahren mit Breitbandwirkung geeignet sind. Eine weitere Anforderung lautet, dass durch die zusätzlichen technischen Maßnahmen keine neuen toxischen Neben- oder Umwandlungsprodukte gebildet werden dürfen. Zudem muss gewährleistet sein, dass es auch bei den üblichen Zulaufschwankungen in Kläranlagen funktioniert. Alle Verfahren, die in Erprobung sind, haben ihren Preis. Neben den erforderlichen Investitionen für Anlagentechnik fallen Kosten für den Energie- und Materialverbrauch an. Im Endeffekt zahlen das Bürger oder Unternehmen, bei denen Abwässer entstehen, über die Abwassergebühren. Sicherlich ist es nicht überall notwendig, eine zusätzliche Reinigungsstufe einzubauen. Bei Kläranlagen, die in Trinkwassergewinnungsgebieten lokalisiert sind oder bei besonders großen Anlagen, die viel Abwasser in einen verhältnismäßig kleinen Fluss einleiten, könnte jedoch mittelfristig Handlungsbedarf bestehen. Schätzungsweise würden sich dadurch die Abwassergebühren um 5 bis 15 Cent pro Kubikmeter Abwasser erhöhen. Im Vergleich zu anderen Ausgaben des täglichen Lebens eine geringe Summe. Im Durchschnitt verbraucht jede Person in einem deutschen Haushalt ca. 45 m3 Wasser pro Jahr. Die Reinigung eines Kubikmeters Abwasser kostet im Mittel 2,50 €. In der Summe macht dies 112,50 € pro Person in einem Haushalt. Durch die zusätzlichen Reinigungsmaßnahmen zur Entfernung von Medikamenten- und Chemikalienresten würde sich die Abwassergebühr auf rund 120,00 € pro Person und Jahr erhöhen. Anders ausgedrückt: Die zusätzliche Abwasserreinigung kostet den Bürger weniger als 10,00 € im Jahr. Dafür kann man heute nicht einmal mehr ins Kino gehen. Welche technischen Möglichkeiten der Entfernung oder Elimination von anthropogenen Spurenstoffen bieten sich denn an? Derzeit sind hauptsächlich drei Verfahren im Gespräch – die Zugabe von Aktivkohle, die Behandlung mit Ozon und die Filtration durch eine Membran. Jede Menge Kohle Aktivkohlen können eine Vielzahl von Spurenstoffen binden. Die mit Schadstoffen beladene Aktivkohle kann dann zusammen mit Siedlungsabfall oder Klärschlamm verbrannt werden. Von Nachteil ist der hohe Energiebedarf bei der Herstellung von Aktivkohle.
Schadstoffspuren im Wasserkreislauf | Im Klartext 19 Angriffslustiges Ozon Ozon ist ein starkes Oxidationsmittel, dass viele Stoffe angreifen und Moleküle aufknacken kann. Allerdings ist es ein sehr instabiles Gas und muss mit hohem Energieaufwand am Ort des Einsatzes hergestellt werden. Zudem können Abbau- bzw. Umwandlungsprodukte mit schädlicher Wirkung entstehen. Membranen als Abwasserpolizei „Dichte“ Membranen sind aus einem Material hergestellt, das für Wasser eine deutlich höhere Durchlässigkeit aufweist als für die darin gelösten Substanzen. Unter Druck von bis zu 40 bar wird das Abwasser durch die Membran gepresst, wofür ein hoher Energiebedarf besteht. Die Membranen müssen regelmäßig mit Hilfe von Chemikalien gereinigt werden, damit sie nicht verstopfen und sie haben trotzdem eine begrenzte Lebensdauer. Des Weiteren müssen auch Entsorgungs- bzw. Behandlungsmöglichkeiten des zurückgehaltenen, mit Spurenstoffen angereicherten Abwasserstroms vorgesehen werden. Was tut der Staat? Bei der Zulassung neuer Chemikalien und Arzneimittel fordern die rechtlichen Regelungen in Europa auch eine Bewertung des Umweltverhaltens. Allerdings führen schädliche Umweltauswirkungen bei Humanarzneimitteln nicht dazu, dass die Zulassung verweigert wird. Priorität hat die menschliche Gesundheit. Es existieren aber Umweltqualitätsnormen für eine ganze Reihe als gefährlich erkannter Substanzen, für die Handlungsmaßnahmen festzulegen sind. Maßnahmen können sowohl an der Quelle ansetzen, also dort, wo ein Stoff in den Wasserkreislauf freigesetzt wird, als auch bei der Abwasserbehandlung und Trinkwasseraufbereitung.
20 Jede technische Lösung der Entfernung von anthropogenen Spurenstoffen aus dem Abwasser stellt nur einen Kompromiss dar. Der Energie- und Ressourcenverbrauch der vorgestellten Verfahren trägt zum Klimawandel bei. Außerdem werden nur Stoffe erfasst, die über den Kläranlagenablauf ins Gewässer gelangen. Bei starken Niederschlägen, gelangen Spurenstoffe aber an der Kläranlage vorbei ins Gewässer. Im Sinne des Vorsorgegedankens ist es am sinnvollsten die Stoffe erst gar nicht in den Wasserkreislauf gelangen zu lassen. Hierzu kann jeder Einzelne seinen Beitrag leisten. Wie soll das gehen? Halten Sie sich an folgende Tipps: \\ Vermeiden Sie die Selbstmedikation und nehmen Sie nur vom Arzt verschriebene Arzneimittel ein. \\ Nehmen Sie insbesondere Antibiotika immer genau nach Anordnung des Arztes bis zum Schluss ein und setzen Sie diese nicht ab, sobald die Symptome abklingen, denn sonst fördern Sie die Bildung resistenter Keime. \\ Entsorgen Sie niemals unverbrauchte Arzneimittel in der Toilette oder im Ausguss, sondern werfen Sie Medikamentenreste – auch dann, wenn sie flüssig sind – zusammen mit der Glasflasche oder Blisterverpackung in ihre Restabfalltonne. Der Restmüll wird verbrannt und dadurch unschädlich gemacht. Erkundigen Sie sich im Zweifel bei Ihrer Kommune. \\ Verzichten Sie darauf, übermäßig kosmetische Produkte zu verwenden. Auch medizinische Cremes zu Vorbeugezwecken sollten weitgehend reduziert werden. Ihre Wirkung ist ohnehin umstritten. Sie werden beim Duschen von der Haut abgewaschen und belasten unnötig das Abwasser. \\ Gehen Sie sparsam und bewusst mit Haushaltsreinigern um und meiden Sie Desinfektionsmittel in Ihrem Haushalt. Sofern Sie nicht einer besonderen Risikogruppe angehören, schaden desinfizierende Haushaltsreiniger mehr als sie nützen. Ein gesundes Immunsystem braucht den Kontakt zu den Keimen der Umwelt, um gut zu funktionieren. \\ Werfen Sie keine Plastikverpackungen in die Umwelt. \\ Geben Sie Farbreste bei Ihren zuständigen Schadstoffsammelstellen ab, die im Abfallkalender genannt sind. Jeder kann etwas tun!
Schadstoffspuren im Wasserkreislauf | Im Klartext 21 (1) Eawag News, Juni 2009 (2) Ecologic-Kurzfilm, 2013 („Pillen, die wir wegspülen: Arzneimittel, Trinkwasser und die Umwelt“, s. http://www.ecologic.eu/de/8575 ) (3) “Handlungsmöglichkeiten zur Minderung des Eintrags von Humanarzneimitteln und ihren Rückständen in das Roh- und Trinkwasser“, UBA 2010 Diese Informationsbroschüre entstand mit finanzieller Unterstützung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) im Rahmen des BMBF-Forschungsprojektes TransRisk „Charakterisierung, Kommunikation und Minimierung von Risiken durch neue Schadstoffe und Krankheitserreger im Wasserkreislauf“, wofür dem BMBF der ausdrückliche Dank gilt. Weiterhin gilt der Dank allen Partnern des TransRisk-Projektes und ganz besonders dem Projektkoordinator Prof. Dr. Thomas Ternes von der Bundesanstalt für Gewässerkunde (BfG) in Koblenz. Quellen Danksagung
u. v. m. unter dwa.de/oeffentlichkeitsarbeit Wasser - Zahlen und Fakten Statistische Daten zum Bereich Wasser und Mensch, zu Trinkwasser und Sanitärversorgung, zu virtuellem Wasser sowie zum Wasser in Deutschland wurden in dieser Broschüre zusammengestellt. Außerdem enthält sie Angaben zu den Bereichen Frisch- und Abwasser, Wasser- Phänomene und Wasser-Weisheiten. Abwasser im Klartext Gewässerschutz muss bei uns selbst beginnen. So kann im Haushalt jeder durch sparsamen Umgang mit wasserbelastenden Haushaltsstoffen und Mitdenken bei der Wassernutzung einen Beitrag leisten. Dazu erfahren Sie mehr in dieser Broschüre, die Ihnen zugleich die Vorgänge bei der Abwasserableitung und -reinigung transparent macht. Gemeinsam für eine saubere Umwelt \\ Weg damit Aber richtig. Was in die Toilette darf. Und was nicht. \\ Hilfe, Feuchttücher & Co! Problem für (Ab)Wasser und Kläranlagen \\ Was kann in die Toilette? Ein Flyer mit 11 Sprachen Weitere Bürgerinformationen Über die DWA
24 Deutsche Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall e. V. (DWA) Theodor-Heuss-Allee 17 · 53773 Hennef Telefon: +49 2242 872-333 · Fax: +49 2242 872-100 info@dwa.de · www.dwa.de www.dwa.de
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