Deutsche Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall e. V.
Kommunalabwasserrichtlinie (KARL)
Meilenstein für den Gewässerschutz mit vielen offenen Fragen
Meilenstein für den Gewässerschutz mit vielen offenen Fragen
Nachdem die EU-Kommission im Oktober 2022 den Entwurf für eine Überarbeitung der seit 1991 in Kraft befindlichen EU-Kommunalabwasserrichtlinie vorgelegt hatte, einigten sich die drei EU-Institutionen Parlament, Rat und Kommission im Anschluss an das sogenannte Trilogverfahren im Januar 2024 auf die Neufassung der Richtlinie. Am 10. April 2024 wurde der Vorschlag seitens des EU- Parlaments angenommen. Am 5. November 2024 verabschiedet der EU-Ministerrat final die Novellierung.
Die DWA begrüßt dies ausdrücklich. Zugleich stellen die neuen Vorgaben eine gewaltige Aufgabe für die Branche dar und lösen ein milliardenschweres Investitionsprogramm aus. „Wichtig ist jetzt eine pragmatische nationale Umsetzung mit Augenmaß. Die Branche braucht Planungs- und Rechtssicherheit“, betont Dr. Lisa Broß, Sprecherin der DWA-Bundegeschäftsführung.
Wo liegen wesentliche Neuerungen und Änderungen?
Art. 3 KARL 2024 fordert den schon bisher geltenden Standard für die Nutzung einer Kanalisation (also Abwasserentsorgung ohne Sammlung und Klärung bzw. über Kleinkläranlagen) auch für Gemeinden mit 1.000 EW und mehr. Die bisher geltende Schwelle von 2.000 EW wurde gesenkt. Alle Quellen von häuslichem Abwasser sind an die Kanalisation anzuschließen. Bis Ende 2035 ist dieser Schritt in den Mitgliedsstaaten zu vollziehen.
Die Reinigungsanforderungen (Art. 6 ff. KARL 2024) wurden insbesondere hinsichtlich der Umsetzungsfristen und der Einwohnerwerte als Anknüpfungspunkt modifiziert. Zukünftig müssen Einleitungen aus kommunalen Abwasserbehandlungsanlagen für Gemeinden mit 1.000 bis 2.000 EW bis Ende 2035 (statt 2030) die für die Zweitbehandlung geltenden Anforderungen (Anhang I Teil B und Tabelle 2) vor dem Einleiten in aufnehmende Gewässer einhalten.
Für Deutschland bedeuten diese und andere Erweiterungen des Anwendungsbereichs, dass nicht mehr 3.830 Kläranlagen, sondern zukünftig
gut 4.700 betroffen sind.
Eines der Ziele der Neufassung ist es, die Nährstoffeinträge in die Gewässer mittels verschärfter Grenzwerte für die Einleitung von Stickstoff und Phosphor noch weiter zu reduzieren. Die Entfernung von Phosphor und Stickstoff erfolgt durch den Einsatz der „Drittbehandlung“. Demnach ist für Kläranlagen ab 150.000 EW ein zeitlich gestufter Ansatz vorgesehen.
Für Nges sinkt der neue Grenzwert auf 8 mg/l für große Anlagen mit mehr als 150.000 EW. Für kleinere Anlagen von 10.000 EW bis 150.000 EW gilt zukünftig ein Grenzwert von 10 mg/l Nges. Die Werte für Phosphor lauten Pges = 0,5 mg/l für große Anlagen >150.000 EW und Pges = 0,7 mg/l für 10.000 EW – 150.000 EW. Wichtig: Die Werte gelten im 24-h-Mittel. Insbesondere angesichts der schärferen Vorgaben aus Brüssel gewinnt die Festlegung der Überwachungsmethodik weiter an Bedeutung. Die EU schreibt sowohl in der bestehenden alten Fassung als auch bei der Novellierung die 24h-Mittelwert fest. Deutschland geht hier aber bereits seit Jahrzehnten mit der qualifizierten Stichprobe oder der 2h-Mischprobe einen nationalen Sonderweg, der deutlich anspruchsvoller ist. Die DWA setzt sich stark dafür ein, mit der Umsetzung der Novellierung in deutsches Recht diesen nationalen Sonderweg zu verlassen und sich dem europäischen Standard anzupassen.
Wie viele Kläranlagen in Deutschland – neben den gut 100 Kläranlagen mit einer Ausbaugröße von mehr als 100.000 EW – schlussendlich um eine weitere Reinigungsstufe erweitert werden müssen, hängt stark von der finalen Auslegung des risikobasierten Ansatzes ab. Grundsätzlich gilt die Pflicht für Kläranlagen mit mehr als 10.000 EW bei der Einleitung in Trinkwassereinzugsgebiete, Badegewässer, bei der Einleitung in Seen und Flüsse mit einem Verdünnungsverhältnis von weniger 10, bei Einleitung in besondere Schutzgebiete sowie in Küsten-, Übergangs- und Meeresgewässer. Bis Ende 2030 müssen die Mitgliedsstaaten eine Liste von Gebieten erstellen, in denen Mikroschadstoffe aus Kläranlagen eine Gefahr für die Umwelt und Gesundheit darstellen. Dr. Christoph Schulte vom Umweltbundesamt geht aktuell von 580 bis 600 Kläranlagen in der Größenklasse 10.000 bis 150.000 EW aus. Demgegenüber stehen rund 80 Kläranlagen in Deutschland, auf denen eine vierte Reinigungsstufe bereits installiert oder zumindest geplant ist (siehe Landkarte).
Laut KARL müssen erst 2045 alle Kläranlagen mit mehr als 150.000 EW über eine vierte Reinigungsstufe verfügen. Mit 20 Prozent 2033 und 60 Prozent 2029 sind aber konkrete Zwischenziele festgeschrieben. Und wichtig, es handelt sich um 20 bzw. 60 Prozent der Anlagen, nicht der gesamtem Ausbaugröße. Eine Großkläranlagen wie beispielsweise Köln-Stammheim kann daher nicht mehrere kleinere Anlagen über 150.000
EW ausgleichen.
Deutliche Veränderungen beinhalt die novellierte Fassung der KARL vor allem für den Umgang mit Niederschlagswasser. Neu ist vor allem der Vorrang für grüne und blaue Infrastrukturlösungen. Die Novellierung sieht zudem integrierte Pläne zur kommunalen Abwasserbewirtschaftung vor. Inhalt dieser Pläne sind unter anderem die detaillierte Beschreibung von Kanalisation und Sonderbauwerken sowie die Darstellung der Kapazitäten für die Behandlung von kommunalem Abwasser bei Regen. Diese Daten sind in der deutschen Abwasserwirtschaft grundsätzlich vorhanden. Schwieriger ist die detaillierte Analyse der Abwasserabflüsse bei Regen mit Messdaten zum Überlaufverhalten und einer dynamischen Modellierung als Schmutzfrachtsimulationen. Insbesondere für kleinere Unternehmen ist dies häufig Neuland.
Konkretes Ziel ist die Verringerung der Gewässerbelastung durch Regenüberläufe. Unverbindliches Richtziel ist dabei, durch Regenüberläufe nicht mehr als zwei Prozent der Jahres-Abwasserfracht im Trockenwetterabfluss in die Gewässer zu leiten. Wobei die Verbindlichkeit dieser Forderung noch unklar ist. Auch die Anforderungen an die Behandlung des Niederschlagswasser sind noch unspezifisch. Das Arbeitsblatt DWA-A 102-2 ist hier deutlich weitreichender.
Die EU möchte auch die Abwasserbranche auf die Ziele des Green Deals verpflichten und fordert die Energieneutralität der Branche, nicht der einzelnen Anlage, bis Ende 2045, mit gestaffelten Zwischenzielen ab 2030. Erreicht werden soll dies unter anderem über verpflichtende Energieaudits, verpflichtend alle vier Jahre für große Anlagen mit einer Abwasserlast von mehr als 100.000 EW ab 2029 und für kleinere Anlagen ab 10.000 EW ab 2033. Auch hier enthält die Novellierung aber noch Unklarheiten. So sind die Kanalisationen definitiv Teil des Energieaudits, bei der geforderten Energieneutralität werden die Kanalisationen aber nicht explizit genannt.
Eigene erneuerbare Energie muss dabei nicht auf dem Gelände der Anlage erzeugt werden, sie kann auch außerhalb erzeugt werden. Als Zwischenziele sind bis Ende 2030 20 %, bis Ende 2035 40 % und bis Ende 2040 70 % des Energiebedarfs der Anlagen durch erneuerbare Energien abzudecken. Dabei muss der Kläranlagenbetreiber nicht selbst Eigentümer oder Betreiber der Anlage der erneuerbaren Energien sein, er kann diese auch in seinem Namen betreiben lassen. Dies eröffnet entsprechende Flexibilität.
Spätestens Corona hat gezeigt, dass Abwasser nicht nur eine kostbare Ressource, sondern auch ein Datenschatz bezüglich der Gesundheitslage im Einzugsgebiet darstellt. KARL fordert in Artikel 17 die Einrichtung eines nationalen Systems für die Koordinierung und Zusammenarbeit zwischen den Gesundheits- und Umweltministerien. Im Fokus stehen neben SARS-CoV-2 auch Influenza, RSV-Viren, Polioviren und andere Parameter. Für Gemeinden mit mehr als 100.000 EW ist zudem die Überwachung antimikrobieller Resistenzen vorgesehen. Dass die Abwasserwirtschaft hier wertvolle Daten liefern kann, ist unbestritten. Es sind aber auch hier noch viele Fragen zu klären, beispielsweise die Zuständigkeiten für Probenahme, Auswertung und vor allem Finanzierung.
Die Wiederverwendung von Abwasser ist bereits Gegenstand der EU-Verordnung 2020/741 zur Abwasserwiederverwendung. Diese legt Mindestanforderungen für die Nutzung von Abwasser zur landwirtschaftlichen Bewässerung fest. Abweichend von Forderungen von Seiten des EU-Parlaments nach weitergehenden Maßnahmen enthält die Einigung des Trilog-Verfahrens inhaltlich weniger strengere Vorgaben. Art. 15 gibt nunmehr vor, dass die Mitgliedstaaten die Wiederverwendung von kommunalem Abwasser überall dort fördern, wo dies möglich ist, und nennt dabei exemplarisch wasserarme Gebiete.
In Deutschland erfolgt die Umsetzung der EU-Verordnung zur Wasserwiederverwendung aktuell über die Anpassung des Wasserhaushaltsgesetzes. Der vorliegende Referentenentwurf ist aber kritisch, so muss für die Genehmigung zur Wasserwiederverwendung Einvernehmen mit sieben Behörden hergestellt werden.
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