Hochwasserschutz muss effektiv gestärkt werden

Lehren aus den jüngsten Ereignissen ziehen – und handeln! Milliardeninvestitionen notwendig

Hennef. Vor dem Hintergrund des Klimawandels werden Hochwasser- und Starkregenereignisse häufiger auftreten als bislang. Zahlreiche Unwetter in den vergangenen Jahren und zuletzt die Hochwasserlage über Weihnachten und Neujahr haben die Notwendigkeit für einen verbesserten Hochwasserschutz eindringlich verdeutlicht. „Für eine schnelle Verbesserung des Hochwasserschutzes ist es erforderlich, ein Hochwasseraktionsprogramm aufzustellen und dieses mit einem konkreten Umsetzungs- und Finanzierungsfahrplan auszustatten. An Erkenntnissen zur Thematik mangelt es nicht“, sagt Prof. Dr. Uli Paetzel, Präsident der Deutschen Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall e.V. (DWA). Paetzel fordert in diesem Zusammenhang auch die Bereitschaft für Milliardeninvestitionen zur Verbesserung der Hochwasserschutz-Infrastruktur.

Die seit Jahrhunderten angewandte Praxis, Gewässerräume anderweitig zu nutzen, muss umgekehrt werden. Als prioritäre Maßnahme sieht Uli Paetzel die Schaffung zusätzlicher Rückhalteräume: „Die Ausweitung von Retentionsflächen muss in der Stadt- und Raumplanung ein stärkeres Gewicht erhalten. Den Wasserverbänden und Gewässerunterhaltungspflichtigen muss darüber hinaus ein rechtlich verbrieftes Vorrecht beim Erwerb gewässernaher Flächen garantiert werden. Der Hochwasserschutz muss künftig Vorrang genießen“, sagt Paetzel. Interessenskonflikten hinsichtlich der Flächenverfügbarkeit solle mit der Attraktivierung einer gemeinsamen Flächennutzung von Wasserverbänden und etwa der Landwirtschaft begegnet werden, z.B. über steuerliche Anreize oder Möglichkeiten der angemessenen Ausgleichszahlungen durch eine landesweite Fondslösung.

Ergänzend zu der Schaffung von Retentionsräumen sei die Ausweitung und Benennung von Flächen, die im Notfall geflutet werden können, von enormer Bedeutung. „Bei diesen Notpoldern handelt es sich um anders genutzte Flächen, z.B. landwirtschaftliche Äcker oder Bolzplätze, die nur im Notfall – daher der Begriff Notpolder – gezielt geflutet werden können, um vulnerablere Bereiche wie z.B. Wohnbebauung, Kritische Infrastruktur, Kindergärten oder Alten- und Pflegeheime zu schützen“, erklärt Dr. Lisa Broß, Sprecherin der DWA-Bundesgeschäftsführung.

Klimazuschlag

Im bevölkerungsreichsten Bundesland Deutschlands, Nordrhein-Westfalen, macht sich der dortige DWA-Landesverband für ein umfassendes Deichausbauprogramm stark, ausgerichtet an den zunehmenden Anforderungen aufgrund des Klimawandels. „Die Erhöhung der Bemessungsgrundlagen für Deiche um mindestens 20 Zentimeter als sogenannter „Klimawandelzuschlag“ sollte als neuer Standard definiert werden. Die Bemessungsgrenzen beziehen sich aktuell in der Regel auf ein Hochwasser, das statistisch betrachtet alle 100 Jahre auftritt. Bei besonders gefährdeten Gebieten müssen die Deiche zudem überströmungssicher gestaltet werden“, sagt Prof. Dr. Burkhard Teichgräber, Vorsitzender des DWA-Landesverbands Nordrhein-Westfalen. Für die Deichsanierung müssen zudem deutlich mehr finanzielle Mittel bereitgestellt werden. Jeder in die Deichsanierung investierte Euro vermeidet deutlich höhere Schäden in den durch die Deiche geschützten Gebieten.

Darüber hinaus müssen die aktuell sehr langen Planungs- und Genehmigungsverfahren deutlich verschlankt werden, um Deichsanierungen flächendeckend vorantreiben zu können. Und: "Hochwasserschutz darf nicht bei Bemessungshochwasser aufhören", so Teichgräber. Auch die Folgen wesentlich größerer Abflüsse müssen abgeschätzt werden. Präventiver Bevölkerungsschutz durch Öffentlichkeitsarbeit, Ausweisung von Fluchtwegen und Vorbereitungen für Katastrophenereignisse erfordern das Zusammenwirken von Gewässerunterhaltungspflichtigen, Kommunen und BOS (Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben) mit ständigem Training.

Überschwemmungsgebiete sind keine Baugebiete

„Als Folge des Klimawandels werden wir bereits in naher Zukunft immer häufiger Ereignisse erleben, deren Folgen wir heute kaum einschätzen können. Entsprechend muss auch die Bauordnung bzw. die Planung neuer Wohn- und Gewerbegebiete unter Berücksichtigung von extremen Hochwasser-Ereignissen, die nur alle 200 Jahre auftreten, angepasst werden“, fordert Lisa Broß. Auch der beste Hochwasserschutz bietet keine absolute Sicherheit gegenüber Überflutungen. Das Bauen in hochwassergefährdeten Gebieten muss stringenter reguliert werden. In besonders gefährdeten Bereichen ist ein generelles absolutes Bauverbot erforderlich. Ausnahmen von Bauverboten in Überschwemmungsgebieten finden in der Praxis immer noch zu häufig Anwendung und führen bei Extremwetterereignissen oft zu hohen Schäden.

„Die Regelungen über Bauverbote in Überschwemmungsgebieten müssen in das Bauplanungsrecht überführt werden, die Voraussetzungen für Ausnahmegenehmigungen sind dringend zu konkretisieren und müssen vor allem auch verschärft werden“, betont Lisa Broß. Eine Zonierung innerhalb des festgesetzten Überschwemmungsgebiets nach Gefährdungslage mit unterschiedlich strengen Anforderungen an Ausnahmen, wie es beispielsweise die Schweiz macht, erscheint äußerst sinnvoll.

Starkregenschutz in den Städten flächendeckend verbessern

Der Bau von Gründächern und Maßnahmen zur lokalen Versickerung von Regenwasser auf dem Grundstück müssen in den Bauordnungen zur Pflicht – und nicht nur zur Option – gemacht werden. Deutlich ausgeweitet werden muss auch die Kommunikation mit den Immobilienbesitzer*innen in besonders von Überflutungen gefährdeten Quartieren. Hier muss das Ziel ein flächendeckender Schutz bereits bestehender Wohngebiete für Überflutungen sein, die nur alle 100 Jahre auftreten.

Netzwerke zur Klimafolgenanpassung nach Vorbild zum Beispiel der „Zukunftsinitiative Klima.Werk“ oder der Berliner Regenwasseragentur müssten flächendeckend ausgerollt werden, um die Umsetzung von baulichen Maßnahmen in den Städten und Kommunen planerisch und in der Ausführung zu unterstützen. Im „Klima.Werk“ haben sich vor knapp zehn Jahren die Emscher-Kommunen mit der Emschergenossenschaft zusammengetan, um die Folgen des Klimawandels abzumildern und die Städte klimarobust zu gestalten. Das „Klima.Werk“ leistet unter anderem einem wichtigen Beitrag in der Starkregenvorsorge, indem es Beratungs- und Fördermöglichkeiten aufzeigt.

Finanzarchitektur für Hochwasserschutz und Klimafolgenanpassung

Die beschriebenen Maßnahmen erzeugen freilich einen erheblichen zusätzlichen finanziellen Aufwand. Da dieser im direkten Zusammenhang mit dem Klimawandel und CO2-Emissionen steht, ist eine Finanzarchitektur zu schaffen, die diesem Faktum Rechnung trägt. Allein in Nordrhein-Westfalen kann über alle Ebenen und Akteur*innen von einem zusätzlichen Finanzbedarf von jährlich mindestens einer Milliarde Euro ausgegangen werden.  Uli Paetzel: „Die Länder müssen sich beim Bund dafür einsetzen, Mittel aus der CO2-Bepreisung für den Bereich Klimafolgenanpassung zu reservieren.“

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DWA-Audit Überflutungsvorsorge

Hochwasservorsorge ist ein komplexes Zusammenspiel von Wasserrückhalt in der Fläche, technischem Hochwasserschutz, konkretem Objektschutz und der Analyse besonders überflutungsgefährdeter Gebiete. Mit dem Überflutungsaudit bietet die DWA Kommunen eine praxisnahe Hilfestellung bei der Überprüfung der eigenen Vorsorge. DWA-Experten analysieren gemeinsam mit kommunalen Fachleuten den Status Quo und zeigen mögliche Schwachstellen auf. Das Audit versetzt die örtlichen Entscheider und die potenziell betroffenen Bürgerinnen und Bürger in die Lage, Prioritäten zum weiteren Handeln abzuleiten.

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